Sicherer Hafen für Vorstände und Geschäftsführer?

BGH hebt Freispruch von Vorstand auf

Unternehmerische Entscheidungen bergen stets Risiken und können sich rückblickend als falsch erweisen. Deshalb gibt es auch im Strafrecht einige Kriterien, um erlaubte Risiken von strafbarem Umgang mit Gesellschaftsvermögen abzugrenzen.

Ausgangslage

Unternehmerische Entscheidungen sind zukunftsbezogen. Sie beruhen auf Annahmen und allgemein auf der Erwartung, sich als vorteilhaft für das Unternehmen zu erweisen. Aber ein Rest von Unsicherheit bleibt immer. Und Gewinne ganz ohne Risiko sind kaum vorstellbar. Vorstand und Geschäftsführer („Geschäftsleiter“) sind jedoch verpflichtet, zum Wohl des Unternehmens zu handeln. Kein Risiko ist jedoch keine Option.

 

Vielmehr müssen sie Chancen und Risiken gegeneinander abwägen. Aber was geschieht, wenn das Kalkül nicht aufgeht und eine Entscheidung sich als Fehlschlag erweist? Nicht selten werden dann Vorwürfe laut, der Geschäftsleiter habe seine Pflichten verletzt. Neben Forderungen nach Schadensersatz tritt dann häufig der Vorwurf einer Strafbarkeit wegen Untreue (§ 266 Strafgesetzbuch, „StGB“). Der Bundesgerichtshof hat in einer neuen Entscheidung vom 10.02.2022 (Az.: 3 StR 329/21) nochmals präzisiert, unter welchen Voraussetzungen eine sog. Organuntreue in Betracht kommt.

 

Strafrechtliches Risiko: Untreue

Wegen Untreue wird – vereinfacht gesagt – bestraft, wer als Geschäftsleiter seine Pflichten verletzt und dadurch das Vermögen der Gesellschaft beschädigt. Der Tatbestand ist weit gefasst und prinzipiell auf jeden Sachverhalt anwendbar. Ob Kreditvergaben, Vergütungsentscheidungen, Sponsoring, Anlagegeschäfte etc. – geht es schief, passt § 266 StGB scheinbar immer. Dies liegt vor allem an der weiten Fassung des Strafgesetzes.

 

Ein Schaden liegt grundsätzlich immer schon dann vor, wenn das Vermögen des Unternehmens bilanziell betrachtet weniger wert ist als vor der Entscheidung. Deshalb kann schon ein Verlustrisiko dazu führen, dass ein strafrechtlich relevanter Schaden entsteht.

 

In subjektiver Hinsicht reicht bereits bedingter Vorsatz. Also wenn der Geschäftsleiter die Möglichkeit eines Verlustes erkennt und sich damit abfindet.

Besonders kritisch ist, dass das Strafgesetz nicht sagt, wann ein Handeln als pflichtwidrig anzusehen ist. In diesem Punkt verweist es vielmehr auf das Gesellschaftsrecht. Also gilt: keine Strafbarkeit ohne Verstoß gegen das Aktiengesetz oder GmbH-Gesetz.

 

Gesellschaftsrechtlicher Maßstab

Im Gesellschaftsrecht ist anerkannt, dass dem Geschäftsleiter eines Unternehmens ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden muss, ohne den eine unternehmerische Tätigkeit schlechterdings nicht denkbar ist. Dazu gehört neben dem bewussten Eingehen geschäftlicher Risiken grundsätzlich auch die Inkaufnahme der Gefahr, bei der wirtschaftlichen Betätigung Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen zu unterliegen. Eine Pflichtverletzung liegt erst dann vor, wenn

  • die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewusstsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muss, überschritten sind,
  • die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt wird oder
  • das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muss.

 

Diese sog. Business Judgement Rule ist auch Maßstab für das Vorliegen einer Pflichtverletzung im Strafrecht. Dort sind die Hürden jedoch nochmals höher. Das Handeln des Geschäftsleiters muss „schlechthin unvertretbar“ sein und der Leistungsfehler muss sich einem Außenstehenden „förmlich aufdrängen.“ Dies hat der BGH in seiner hier angesprochenen jüngsten Entscheidung nochmals betont.

 

Praktisches Problem: die Rückwärtsperspektive

In der Verteidigung gegen Vorwürfe der Untreue stellt sich oftmals das Problem, dass z.B. Gläubiger, Staatsanwaltschaft oder Gericht den späteren Verlauf der Entscheidung kennen. Sie wissen also, dass z.B. ein Kredit ausgefallen ist oder die mit einer Investition erhofften Gewinne nicht erzielt wurden. Dies kann gedanklich dazu verführen, aus der Kenntnis des späteren Verlaufs auf die Pflichtverletzung zu schließen. Denn was einen Schaden verursacht hat, kann ja schließlich nicht richtig gewesen sein. Dieser Effekt der sog. hindsight bias ist besonders strafrechtlich extrem gefährlich. Daher gilt es, bei jeder Entscheidung im besten Fall vorab die relevanten Gesichtspunkte zu dokumentieren. Und wenn es bereits zu Vorwürfen gekommen ist, den Fokus immer wieder auf die damalige Perspektive des Geschäftsleiters zu richten.

 

Ausreichende Informationsgrundlage

Ein wichtiges Anzeichen für die Sorgfalt des Geschäftsleiters ist vor allem, auf welcher Informationsgrundlage er gehandelt hat. Dabei kommt es auf die konkrete Entscheidungssituation an. Notwendig, aber auch ausreichend ist, dass sich der Geschäftsleiter eine unter Berücksichtigung des Faktors Zeit und unter Abwägung der Kosten und Nutzen weiterer Informationsgewinnung „angemessene“ Tatsachenbasis verschafft. Je bedeutsamer die Entscheidung, desto breiter muss die Informationsbasis sein. Dem Geschäftsleiter steht danach letztlich ein dem konkreten Einzelfall angepasster Spielraum zu, den Informationsbedarf abzuwägen. Ausschlaggebend ist dabei nicht, ob die Entscheidung tatsächlich auf der Basis angemessener Informationen getroffen wurde und dem Wohle der Gesellschaft diente, sondern es reicht aus, dass der Geschäftsleiter dies „vernünftigerweise annehmen“ durfte.

Weitere Kriterien

Als weitere Kriterien für eine pflichtgemäße Entscheidung stellt die Rechtsprechung u.a. auf die Vermeidung von Interessenkonflikten und die Transparenz des Handelns ab. Insbesondere die Einbindung von aufsichts- oder mitwirkungsberechtigten Personen kann gegen eine Pflichtverletzung sprechen.

 

Kontaktieren Sie uns gerne, wenn Sie erfahren möchten, welche Kriterien sonst gelten oder wie ein größtmöglicher Schutz vor strafrechtlichen Vorwürfen zu erlangen ist.