07.06.2022

Grüne Finanzprodukte: alles so nachhaltig wie versprochen?

Strafrechtliche Risiken von Greenwashing

Anleger berücksichtigen zunehmend, ob Finanzprodukte nachhaltig sind. Wird ein Produkt „grüner“ dargestellt, als es ist, spricht man von Greenwashing – und möglicherweise von einer Straftat.

Das Phänomen Greenwashing bzw. Grünfärberei ist auch in der Finanzbranche nicht neu. Nun haben Staatsanwaltschaften die Spur aufgenommen – und sehen bei Banken und Fondsgesellschaften genau hin. Die medienwirksame Durchsuchung einer Fondsgesellschaft Ende Mai 2022 zeigt, dass das Thema auch strafrechtlich künftig mehr Dynamik bekommen dürfte. Problematisch ist, dass eindeutige Standards zur Nachhaltigkeit bislang nicht existieren.

 

Worum geht es?

Als Greenwashing werden Methoden bezeichnet, einem Unternehmen, seinen Produkten oder Aktivitäten eine positive Wahrnehmung zu verschaffen. Besonders häufig werden solche Bemühungen in Bezug auf die Nachhaltigkeit, die Umweltverträglichkeit, die Klimafreundlichkeit oder die Co²-Neutralität von Produkten gemacht.

Die Finanzindustrie hat auf das gewachsene Umwelt- und Sozialbewusstsein von Anlegern reagiert. Seit Jahren bietet sie vielfältige Produkte an, die eine Geldanlage mit reinem Gewissen ermöglichen sollen. Ob „Umwelt Depot“ oder „Global Environmental Impact“-Portfolio: am Ende geht es darum, dass nur in „gute“ Unternehmen und Produkte investiert werden soll. Hiergegen ist nichts einzuwenden, im Gegenteil. Das Problem ist häufig: stimmen die Versprechen? Oder: was genau darf der Anleger hinter den wohlklingenden Bezeichnungen eigentlich erwarten?

 

Eigenverantwortung des Anlegers

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) warnt vor Missverständnissen. Auf ihrer Internet-Seite (www.bafin.de/DE/Verbraucher/Finanzwissen/NachhaltigeGeldanlage) weist sie darauf hin, dass einheitliche Mindeststandards für nachhaltige Geldanlagen nicht existieren. Hinter Begriffen wie „ökologisch“, „sozial“, „ethisch“, „grün“ oder „klimafreundlich“ verbergen sich unterschiedliche Kriterien. Letztlich kann jeder Anbieter etwas Anderes darunter verstehen. Um beurteilen zu können, ob die Geldanlage dem individuellen Verständnis von Nachhaltigkeit entspricht, muss der Anleger sich nach Ansicht der BaFin genau informieren.

 

ESG-Kriterien

Ein gewisses Maß an Objektivität bieten die sog. ESG-Kriterien. ESG steht dabei für Environment, Social und Governance. Exemplarisch kann hinter diesen Schlagworten insbesondere Folgendes stehen:

  • Environment: Klima, Ressourcenschonung, Wasser, Artenvielfalt
  • Social: Mitarbeiter, Sicherheit, Demografischer Wandel, Ernährungssicherheit
  • Governance: Risikomanagement, Aufsichtsstrukturen, Compliance

Bei der Auswahl eines nachhaltigen Investments können diese Kriterien Bedeutung haben. Insbesondere ermöglichen sie es, Investitionen in bestimmte Unternehmen oder ganze Branchen auszuschließen, bei denen die Kriterien nicht erfüllt sind. So können etwa im Rahmen einer ESG-Anlagestrategie Kriterien wie Atomenergie, Umweltzerstörung oder Ausbeutung definiert werden, um bestimmte Investments von vornherein auszuschließen. Umgekehrt ist denkbar, nur solche Unternehmen einzubeziehen, die sich um die Einhaltung von ESG-Kriterien besonders bemühen (best-in-class-Prinzip). Im Markt bieten Ratingagenturen Nachhaltigkeitsratings an, die eine Berechnung von ESG-Scores ermöglichen und für Vergleichbarkeit für den Anleger sorgen sollen.

 

EU-Taxonomie

Auch auf EU-Ebene wird derzeit versucht, Nachhaltigkeitsstandards rechtssicher zu definieren. Die EU-Taxonomie ist ein hierfür vorgesehenes Klassifizierungsinstrument. Es geht darum, Aktivitäten von Unternehmen danach einzuordnen, ob diese Unternehmen einen „grünen“ Beitrag leisten oder nicht. So sollen Anleger einschätzen können, ob ein Unternehmen, in das sie investieren wollen, nachhaltig arbeitet. Mit dem Vorhaben will die EU Investitionen in ökologisch nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten fördern. Damit eine ökonomische Tätigkeit als nachhaltig gelten kann, muss sie vier Kriterien erfüllen:

  1. Sie leistet einen substanziellen Beitrag zu mindestens einem der Umweltziele.
  2. Sie fügt keinem der anderen Umweltziele erheblichen Schaden zu.
  3. Sie ist im Einklang mit Mindestanforderungen in den Bereichen Arbeitsstandards und Menschenrechte.
  4. Sie erfüllt die durch die EU-Kommission vorgegebenen Technical Screening Criteria. Hierbei handelt es sich um quantitative und qualitative Kriterien wie etwa Schwellenwerte, anhand derer die ökologische Nachhaltigkeit von Aktivitäten festgelegt wird.

Die EU-Taxonomie erlangt automatisch Rechtskraft, sofern nicht die Mitgliedsländer mit qualifizierter oder das EU-Parlament mit absoluter Mehrheit dagegen stimmen.

 

Rechtslage im Strafrecht

Das Strafrecht hält mit dem Kapitalanlagebetrug (§ 264a Strafgesetzbuch) eine spezielle Vorschrift bereit, um irreführendes Verhalten im Kapitalmarkt zu verfolgen. Bestraft wird, wer

  • bei dem Vertrieb von Wertpapieren oder von Anteilen, die eine Beteiligung am Ergebnis eines Unternehmens gewähren sollen,
  • in Prospekten, Darstellungen oder Übersichten
  • über erwerbserhebliche Umstände
  • gegenüber einem größeren Personenkreis
  • unrichtige vorteilhafte Angaben macht oder nachteilige Angaben verschweigt.

Die Vorschrift schützt das Individualvermögen des Anlegers und das allgemeine Vertrauen in einen funktionierenden Kapitalmarkt. Dabei ist die Grenze zur Strafbarkeit deutlich früher überschritten als z.B. beim klassischen Betrug (§ 263 Strafgesetzbuch). Insbesondere setzt der Kapitalanlagebetrug nicht voraus, dass der Anleger sich irrt oder dass er tatsächlich einen Vermögensschaden erleidet. Es reicht aus, unrichtige vorteilhafte Angaben zu machen oder nachteilige Angaben zu verschweigen.

Hieraus folgt zum einen, dass die Schwelle zur Straftat schneller überschritten ist, als mancher denkt. Zum anderen sind die Strafverfolgungsbehörden wesentlich früher dazu berechtigt und verpflichtet, bei einem Anfangsverdacht Ermittlungen einzuleiten. Und weil das deutsche Strafrecht (noch) keine eigene Verantwortlichkeit von Unternehmen kennt, sind dies in erster Linie die handelnden Personen selbst.

 

Welches Verhalten ist strafbar?

Tathandlung ist Machen unrichtiger vorteilhafter Angaben oder das Verschweigen nachteiliger Tatsachen durch schriftliche oder mündliche Äußerungen gegenüber einem größeren Kreis potentieller Anleger.

  • Die Angaben müssen aufgrund ihres unrichtigen Inhalts geeignet sein, bei den Anlegern Fehlvorstellungen über die Anlagerisiken bzw. Anlagechancen zu erzeugen. Problematisch ist, dass der Begriff der Tatsache in diesem Zusammenhang weit ausgelegt wird: er erfasst auch Meinungen, Werturteile und Prognosen.
  • Unrichtig sind die Angaben, wenn sie nicht den objektiven Gegebenheiten entsprechen.
  • Prognosen und Wertentscheidungen sind unrichtig, wenn die der Prognose zugrundeliegenden Tatsachen nicht zutreffen oder nicht hinreichend auf Tatsachen gestützt sind.

Ob und wenn ja, in welchem Umfang produktbezogene Angaben zu nachhaltigkeitsbezogenen Aspekten strafrechtlich geschützt sind, hat die Rechtsprechung bisher nicht entschieden. Die Fachliteratur steht jedoch einhellig auf dem Standpunkt, dass auch unrichtige Angaben zur Nachhaltigkeit strafbar sein können.

 

Problem: begriffliche Unbestimmtheit

Praktisch kann dies für Schwierigkeiten sorgen. Zumindest solange es kein eindeutiges Verständnis des Bedeutungsgehaltes von Begriffen wie „nachhaltig“, „ökologisch“, „klimafreundlich“ etc. gibt – sich eine Verkehrssitte also noch nicht gebildet hat – scheint Zurückhaltung bei der Anwendung des Strafrechts geboten.

Zunächst spricht vieles für die Sichtweise der BaFin, es obliege dem Anleger, sich so genau zu informieren, dass er ein individuelles Urteil über die Einhaltung ihm wichtiger Nachhaltigkeitskriterien treffen kann. Diese grundsätzliche Risikoverteilung, die vom Leitbild eines mündigen und informierten Anlegers ausgeht, muss das Strafrecht berücksichtigen. Strafrechtlich relevantes Verhalten kommt erst in Betracht, wenn eine solchermaßen informierte Entscheidung des Anlegers vereitelt wird.

 

Nur eindeutige Fälle strafbar

Die Grenze, ab der sich eine Strafverfolgungsbehörde einmischen darf, ist dabei nach hier vertretener Ansicht erst dort überschritten, wo Angaben

  • objektiv eindeutig unzutreffend und
  • subjektiv darauf angelegt sind, in einem verständigen Anleger eine Fehlvorstellung zu erzeugen.

Ein erhöhtes Risiko strafrechtlicher Vorwürfe dürfte insbesondere bestehen, wenn z.B. bei dem Vertrieb eines Produktes die Berücksichtigung von ESG-Kriterien zugesichert, aber später nicht umgesetzt wird. Wer einen Fonds im Prospekt als konkret ESG-konform beschreibt, oder sich eine solche Beschreibung bei dem Vertrieb zu eigen macht, riskiert Vorwürfe, wenn sich später z.B. herausstellt, dass in vom Anleger ausdrücklich ausgeschlossene Unternehmen oder Branchen investiert wurde. Inwieweit Klassifizierungen nach der EU-Taxonomie für das Strafrecht herangezogen werden können, wird nach Inkrafttreten zu prüfen sein. Grundsätzlich ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die nach der EU-Taxonomie gebildete Einschätzung zur Nachhaltigkeit eines Finanzprodukts geeignet ist, eine anlageerhebliche Fehlvorstellung zu erzeugen. Unzutreffende Angaben wären dann potenziell strafbar.

Mögliche Konsequenzen

Kapitalanlagebetrug kann mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Neben diesen persönlichen Strafen tritt das Risiko strafrechtlicher Sanktionen gegen die Bank oder die Fondsgesellschaft ein. Gegen diese kann eine Verbandsgeldbuße (§ 30 Ordnungswidrigkeitengesetz) festgesetzt oder die Einziehung von Taterträgen (§§ 73ff. Strafgesetzbuch) angeordnet werden. Hinzu kommen die ggf. noch teureren Reputationsverluste, die durch mit Ermittlungshandlungen häufig einhergehende negative Publizität entstehen.