Die sog. Cum/ex-Verfahren sind ganz überwiegend noch nicht abgeschlossen. Zugleich rücken andere Formen steuergetriebener Wertpapiergeschäfte in den Fokus der Ermittlungsbehörden. Ein Beschluss des OLG Frankfurt am Main aus Dezember 2024 öffnet für die Ermittlungsbehörden mehrere Türen.
Im Jahr 2021 erhob die Staatsanwaltschaft Wiesbaden gegen drei Vorstandsmitglieder und zwei Mitarbeiter der Rechtsabteilung einer Bank. Sie sollen sich vor rd. 17 Jahren strafbar gemacht haben, indem sie eine Anrechnung von Kapitalertragsteuern beantragt haben. Zuvor hatte ihre Bank sich an einem „Steuermodell“ beteiligt, das eine Beratungsgesellschaft vorgeschlagen hatte. Danach verlieh die Bank für ca. fünf Wochen festverzinsliche Wertpapiere. Als Sicherheit erhielt sie für die Haltedauer deutsche Aktien von einer britischen Gesellschaft. Nachdem die Zinsen bzw. Dividenden vereinnahmt wurden, tauschte man die Aktien und Wertpapiere zurück. Die Besonderheit war, dass keines dieser Geschäfte aus sich heraus wirtschaftlich rentabel war. Ein Gewinn ließ sich erst realisieren, wenn man den steuerlichen Effekt nutzte, dass Zinsen zu 100% und Dividenden nur zu 5% der Kapitalertragsteuer unterlagen. Die Berater nannten dies „Optimierung der Nachsteuerrendite“. Die steuerliche Zulässigkeit des Vorgehens ließ die Bank durch mehrere Rechtsgutachten von Beratern prüfen.
Die Staatsanwaltschaft wertet die Beantragung der Anrechnung von Kapitalertragsteuer als Steuerhinterziehung. Im Kern wirft sie den Angeklagten vor, das Finanzamt zwar über die Wertpapierleihe informiert zu haben, dabei aber die Einbettung in das vertragliche Gesamtkonzept nicht erwähnt zu haben. Genau diesen Umstand hätten die Angeklagten aber offenlegen müssen, denn ansonsten konnte das Finanzamt weder prüfen, ob die Bank wirtschaftliches Eigentum an den Aktien (§ 39 AO) hatte oder ob die Gestaltung steuerlich missbräuchlich ist (§ 42 AO). So sei ein Steuerschaden von rd. EUR 35 Mio. verursacht worden.
Vorerst standen die Zeichen auf Entwarnung. Denn das LG Wiesbaden ließ die Anklage nicht zu. Die Berufsrichter befanden, es bestünde kein Verdacht einer Steuerhinterziehung. Insbesondere sei alles offengelegt worden, was für das Finanzamt seinerzeit (2004, 2005 und 2006) wichtig war. Das vertragliche Gesamtkonzept hätte schon deshalb nicht offengelegt werden müssen, weil seinerzeit keine obergerichtliche Rechtsprechung zu dieser Konstellation existierte. Erst im April 2014 habe der BFH für cum/ex-Geschäfte den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums abgelehnt, wenn die Aktien in einem Gesamtvertragskonzept erworben wurden (I R 2/12). Die im Sinne der Angeklagten positive Entscheidung schien zu sagen: „Damals war die Welt eine andere.“ Und so wiesen die Richter u.a. darauf hin, dass schon bei der ersten Vernehmung von Zeugen ca. 10 Jahre nach Abgabe der Steuererklärung betont hätten, der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums sei „aus heutiger Sicht“ strafbar. Zudem wies das LG auf die eingeholten Rechtsgutachten hin, die einen Vorsatz zur Steuerhinterziehung ausschlössen.
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft nahm das OLG Frankfurt Stellung. Es schlug die entgegengesetzte Richtung ein und kassierte die Entscheidung des LG Wiesbaden in allen relevanten Punkten:
Abweichungen von diesem Grundsatz seien vom Steuerpflichtigen offenzulegen. Und für das „wie“ der Offenlegung macht der Senat des OLG klar, dass es strafrechtlich auf Klarheit und Offenheit ankommt. Die im entschiedenen Fall erfolgte Mitteilung von Tatsachen an verschiedenen Stellen in einem mehr als 100 Seiten umfassenden Schriftsatz reiche nicht aus.
Auch zur Bedeutung von Rechtsgutachten und Beratungshinweisen fanden die OLG-Richter klare Worte. Dass „Feigenblattgutachten“ oder „Gefälligkeitsgutachten“ den Vorsatz nicht ausschließen, ist nicht neu. Gerade im Zusammenhang mit cum/ex-Gestaltungen haben die Strafgerichte schon mehrfach dazu Stellung genommen, welche Kriterien an ein Rechtsgutachten zu stellen sind. Problematisch soll dabei insbesondere sein, wenn das Gutachten einen Fall nur abstrakt und ohne Berücksichtigung der konkreten Details behandelt. Auch eine inhaltliche Einflussnahme des Auftraggebers oder eine Tätigkeit des Gutachtes für eine Mehrzahl von Auftraggebern in gleich gelagerten Fällen sieht das OLG Frankfurt kritisch.
Welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen? Zum einen ist die vorliegende Entscheidung im sog. Zwischenverfahren ergangen, so dass die nach wie vor lediglich einen Verdacht beschreibt. Zum anderen ist jedoch eine Ausweitung und Beschleunigung der strafrechtlichen Aufarbeitung von Wertpapiergeschäften sehr wahrscheinlich. Bereits jetzt verfolgen Staatsanwaltschaften hier z.T. einen ausdrücklich so bezeichneten „ganzheitlichen Ansatz“: ob cum/ex, cum/cum, ETF, Repos oder Reverse Market Claims – einige Behörden suchen bereits in Schreiben an Banken und Sparkassen nach Anhaltspunkten für jegliche Konstellation. Mit dem Hinweis auf ein geändertes Rechtsverständnis allein werden sich die Ermittlungsbehörden nicht ohne weiteres zufriedengeben – auch wenn die Vertretbarkeit einer Rechtsansicht im damaligen Zeitpunkt rechtlich ein wichtiges Argument sein kann.
Auch wenn „harte“ Rechtspflichten zur Offenlegung entsprechender Sachverhalte z.B. nach § 153 AO erst dann in Betracht kommen, wenn positive Kenntnis über eine – ggf. auch erst aus heutiger Sicht – inakzeptable oder grenzwertige Sachverhaltsgestaltung vorliegt: wer ausschließlich steuermotivierte Gestaltungen zum Gegenstand von Steuererklärungen gemacht oder daran mitgewirkt hat, sieht sich einem latenten Vorwurfsrisiko ausgesetzt. Und der öffentliche Druck, solche Gestaltungen zu ermitteln, um ggf. Steuern zurück fordern zu können, ist hoch.
Kontaktieren Sie uns gerne, wenn Sie Fragen zur Strafbarkeit steuergetriebener Wertpapiergeschäfte oder „Steuermodelle“ haben. Auch über Optionen einer Offenlegung und die rechtlichen Anforderungen in diesem Bereich sprechen wir gerne mit Ihnen.